Aufruf: Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus

Auf­ruf zur Demo am Don­ners­tag, den 21.​05.​09, in Mar­burg

In der Zeit vom 20. bis zum 24. Mai fin­det in Mar­burg der „6. in­ter­na­tio­na­le Kon­gress für Psy­cho­the­ra­pie und Seel­sor­ge“ statt. Unter dem Deck­man­tel der Wis­sen­schaft wol­len re­ak­tio­nä­re evan­ge­li­ka­le Kräf­te einen Kon­gress ver­an­stal­ten, gegen den sich brei­ter Wi­der­stand for­miert hat. Or­ga­ni­siert wird der Kon­gress von der „Aka­de­mie für Psy­cho­the­ra­pie und Seel­sor­ge“, die sich be­son­ders durch die Ver­knüp­fung von the­ra­peu­ti­scher Be­ra­tung mit christ­lich evan­ge­li­ka­len Le­bens­vor­stel­lun­gen her­vor­tut. Es sind über 100 Work­shops ge­plant, die sich unter an­de­rem mit The­men aus dem Be­reich Se­xua­li­tät und Iden­ti­tät be­schäf­ti­gen. Unter dem Deck­man­tel der Wis­sen­schaft ver­brei­ten ein­zel­ne Re­fe­ren­t_in­nen ein kon­ser­va­ti­ves Bild von der he­te­ro­se­xu­el­len Ehe als ein­zi­ges Le­bens­mo­dell und stig­ma­ti­sie­ren Ho­mo­se­xua­li­tät als krank­haft und nicht er­wünscht. Ins­ge­samt of­fen­bart die Aus­wahl der Re­fe­ren­t_in­nen ein erz­kon­ser­va­ti­ves und zu­tiefst re­ak­tio­nä­res Welt­bild. Unser Pro­test rich­tet sich auch nicht nur gegen ein, zwei oder drei Work­shops oder Re­fe­ren­t_in­nen auf dem Kon­gress, son­dern viel­mehr gegen die ho­mo­pho­be und re­li­gi­ös-​fun­da­men­ta­lis­ti­sche Aus­rich­tung der evan­ge­li­ka­len Be­we­gung. Des­halb wer­den wir den Kon­gress ver­hin­dern!

Evan­ge­li­ka­le

Evan­ge­li­ka­le sind eine rück­wärts­ge­rich­te­te Strö­mung in­ner­halb des Pro­tes­tan­tis­mus, die sich durch fun­da­men­ta­lis­ti­sche Bi­bel­aus­le­gung, Ab­so­lut­heits-​ und Mis­sio­nie­rungs­an­spruch aus­zeich­net und die nach ge­sell­schaft­li­chem Ein­fluss stre­ben. Ein Bei­spiel hier­für ist der Mar­bur­ger Chris­tus Treff, des­sen wö­chent­li­che Got­tes­diens­te gro­ßen An­klang fin­den. Ro­land Wer­ner, Lei­ter des Chris­tus Treffs, Vor­sit­zen­der des Ju­gend­kon­gres­ses Chris­ti­val 2008 und ge­heil­ter Ho­mo­se­xu­el­ler, soll eines der Haupt­se­mi­na­re hal­ten. Auch Han­na-​Bar­ba­ra Gerl-​Fal­ko­vitz von der Of­fen­si­ve Jun­ger Chris­ten (OJC) will dort spre­chen. Eine Reihe von evan­ge­li­ka­len Or­ga­ni­sa­tio­nen (ex­em­pla­risch sei Wu­es­ten­strom ge­nannt), die auf dem Kon­gress ver­tre­ten sind, haben die ver­meint­li­che Hei­lung von Ho­mo­se­xua­li­tät als einen ihrer The­men­schwer­punk­te.

Ho­mo­pho­bie
Ho­mo­pho­bes Ver­hal­ten äu­ßert sich in einem brei­ten Spek­trum von Nicht­ak­zep­tanz bis hin zu of­fe­ner Ge­walt ge­gen­über gleich­ge­schlecht­li­chen Le­bens­for­men. Be­trof­fen von Ho­mo­pho­bie sind je­doch nicht nur Ho­mo­se­xu­el­le, son­dern alle Men­schen mit einer von der he­te­ro­se­xu­el­len Norm ab­wei­chen­den se­xu­el­len Iden­ti­tät (z.B. Trans­se­xu­el­le). Pro­ble­me, die viele Ho­mo­se­xu­el­le mit ihrer se­xu­el­len Iden­ti­tät haben, wer­den nicht durch die Ho­mo­se­xua­li­tät selbst, son­dern durch das he­te­ro­s­e­xis­ti­sche Um­feld ver­ur­sacht, wel­ches ein frei­es Aus­le­ben ho­mo­se­xu­el­ler Nei­gun­gen, vor allem in der schwie­ri­gen Co­ming out-​Pha­se, stark er­schwert. Die Ur­sa­che für of­fe­ne und ver­steck­te Ho­mo­pho­bie ist im tief in un­se­rer Ge­sell­schaft ver­an­ker­ten He­te­ro­s­e­xis­mus zu su­chen.

He­te­ro­s­e­xis­mus
Unter He­te­ro­s­e­xis­mus ver­steht man ein Welt- und Men­schen­bild, in dem die he­te­ro­se­xu­el­le Le­bens­form als ein­zig „nor­ma­le“ bzw. „mo­ra­li­sche“ Form mensch­li­cher Part­ner­schaft dar­ge­stellt wird. Die Or­ga­ni­sa­ti­on „Wu­es­ten­strom“ bie­tet nach ei­ge­nen Aus­sa­gen Hilfe bei der Iden­ti­täts­su­che als Mann oder Frau an. Hier wird zu­nächst ein­mal deut­lich, dass es für „Wu­es­ten­strom“ le­dig­lich die Iden­ti­tä­ten Mann oder Frau gibt. Der 1. Vor­sit­zen­de die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on, Mar­kus Hoff­mann, ist einer der Re­fe­ren­ten auf dem Kon­gress und bie­tet ein Se­mi­nar zu „Rei­fung der Iden­ti­tät als Frau und als Mann“ an. Be­son­ders deut­lich wird der He­te­ro­s­e­xis­mus und ein bi­nä­res Ge­schlech­ter­bild vie­ler Evan­ge­li­ka­ler und ei­ni­ger Re­fe­ren­t_in­nen des Kon­gres­ses an ihrer Po­si­tio­nie­rung zu ho­mo­se­xu­el­len Le­bens­part­ner­schaf­ten. Dr. Christl Ruth Von­holdt, Lei­te­rin des Deut­schen In­sti­tuts für Ju­gend und Ge­sell­schaft (DIJG) und Re­fe­ren­tin auf dem Kon­gress, sagte in der Ober­hes­si­schen Pres­se vom 24.​04.​09:​ „Wir wen­den uns nicht nur gegen die ,ho­mo­se­xu­el­le Ehe und Fa­mi­lie´, son­dern auch gegen die po­ly­ga­me Ehe, die ,Ge­schwis­ter­ehe´ sowie gegen For­men bi­se­xu­el­ler Ehe […] Die Um­deu­tung von Ehe und Fa­mi­lie ist kul­tur­zer­stö­rend. Von­holdt hat ge­mein­sam mit Mar­kus Hoff­mann und Nor­bert Geis (MdB, CSU) ein Buch ver­öf­fent­licht. Geis ist einer der Un­ter­stüt­zer_in­nen einer In­itia­ti­ve, die den Kon­gress gegen un­se­re Kri­tik in Schutz neh­men will und u.a. von der Jun­gen Frei­heit, dem Haupt­or­gan der Neuen Rech­ten, be­wor­ben wird. In dem an­ge­spro­che­nen Buch heißt es: „Es ist an der Zeit, dass diese Le­bens­form end­lich auch in der Öf­fent­lich­keit als das be­zeich­net wird, was sie ist: die Per­ver­si­on der Se­xua­li­tät.“

Kein Raum
Aus die­sen Grün­den sind nicht nur ei­ni­ge Se­mi­na­re oder Re­fe­ren­t_in­nen ab­zu­leh­nen. Wir wol­len den Kon­gress in sei­ner Ge­samt­heit ver­hin­dern und ihn als Sym­bol einer rechts­kon­ser­va­ti­ven Mei­nungs­ma­che be­kämp­fen. Die ge­nann­ten Re­fe­ren­t_in­nen sind nur die Spit­ze des Eis­ber­ges, die in­ner­halb des Kon­gress und der evan­ge­li­ka­len Be­we­gung eine brei­te Ak­zep­tanz er­fah­ren. Die Kon­gress­work­shops sol­len in öf­fent­li­chen Räu­men, wie dem Hör­saal­ge­bäu­de der Uni­ver­si­tät, der Stadt­hal­le und der Mar­tin-​Lu­ther-​Schu­le Platz, fin­den. Das Be­reit­stel­len öf­fent­li­cher und uni­ver­si­tä­rer Räume stützt die Be­haup­tung, bei dem Kon­gress han­de­le es sich um eine wis­sen­schaft­li­che Ver­an­stal­tung. Der Ober­bür­ger­meis­ter der Stadt Mar­burg, Egon Vau­pel (SPD), und Uni­prä­si­dent Volker Nien­haus sind da­durch mit­ver­ant­wort­lich dafür, dass pseu­do­wis­sen­schaft­li­che Se­mi­na­re ihren Platz im öf­fent­li­chen Dis­kurs fin­den.
Wenn an­de­ren Men­schen ein Le­bens­ent­wurf auf­ge­drückt wer­den soll, der ihren Ge­füh­len, Be­dürf­nis­sen und Vor­stel­lun­gen wi­der­spricht, hat dies nichts mehr mit To­le­ranz oder Mei­nungs­frei­heit zu tun, son­dern ist schlicht und ein­fach dis­kri­mi­nie­rend und men­schen­ver­ach­tend.

Daher for­dern wir die Ab­sa­ge des Kon­gres­ses und spre­chen uns für ein frei­es und selbst­be­stimm­tes Leben aus, in dem alle Men­schen leben und lie­ben kön­nen, wen und wie sie wol­len!

De­mons­tra­ti­on
Do., 21.5.
10:30h Hbf Mar­burg