Was ist mit meiner Krise?
„Wir zahlen nicht für eure Krise“ ist ein weit verbreiteter Spruch, der auf Großdemonstrationen, in Aufrufen oder Tags, z.B. an der Marburger Uni, zu finden ist, wenn konjunkturelle Schwankungen zu sozialen Einschnitten führen. Das politische Spektrum, welches unter dieser Parole ihre Politikansätze verbreitet, reicht von der Interventionistischen Linken, über attac und die Grünen bis hin zu Linkspartei oder Gewerkschaften. Die konkrete Auseinandersetzung mit „der Krise“ ist dabei unterschiedlich: Während einige schon den Zusammenhang zwischen Krise und Kapitalismus erkennen, krebsen andere noch an der Oberfläche herum. Sie versuchen immer noch die Folgen zu bekämpfen, ohne die Ursachen näher ins Blickfeld zu nehmen. Selbst bei denjenigen, die meinen Kapitalismus als Krisenursache erkannt zu haben, gibt es ein breites Spektrum von Analysen und Antwortmöglichkeiten, die dem Anspruch von Antikapitalismus vielfach alles andere als gerecht werden.
Extrembeispiel für vermeintlichen Antikapitalismus sind Neonazis und (inkonsequent wie immer) die NPD, die den Interessierten spätestens im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm oder bei Naziaufmärschen z.B. am 1. Mai 2010 ins Gedächtnis gerufen wurde. Die extreme Rechte stellt bei ihrer Betrachtung dem bösen Finanzkapital eine starke nationale Volksgemeinschaft als Lösungsansatz gegenüber. Dabei werden von den Nazis nur die Auswüchse kritisiert. Es wird eine Trennung von sogenanntem raffenden und schaffenden Kapital vorgenommen, wobei das schaffende Kapital als bodenständiges deutsches Industriekapital zu verstehen ist. Für diesen (industriellen) Produktionsprozess werden kapitalistische Verhältnisse verneint und so getan, als würden Abhängigkeits-, Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse hier nicht allgegenwärtig sein. Vielmehr ist die Kritik ausschließlich auf die vermeintlich raffende Sphäre des Finanzkapitals, also der Zirkulationssphäre des Kapitals, gerichtet. Dieser abstrakte Bereich wird personifiziert und letztendlich mit Jüdinnen und Juden gleichgesetzt. Diese, als Biologisierung des Kapitalismus bezeichnete, Stoßrichtung führt schließlich zu antisemitischen Stereotypen und Mythenbildung. Gerade wegen der scheinbar einfachen Logik und ihrer klar abgegrenzten Feindbilder ist der rechte „Antikapitalismus“ massentauglich und überaus gefährlich.
Aus diesem Grund ist es immer und überall von herausragender Bedeutung antisemitischen Argumentationsmustern entschieden entgegen zu treten.
Erstaunliche Parallelen zu „Linken“
Die NPD verlautbarte 2009 in einer Stellungnahme: „Um die Krise zu stoppen […] müssen Prinzipien wie ‚Shareholder-value‘, Dividende für Superreiche und die einseitige Ausrichtung an Profit und Export ein Ende haben.“[1]
Die Stoßrichtung ist klar: Die hilflose deutsche Volksgemeinschaft wird von bösen ausländischen Großkonzernen, gierigen Bonzen und korrupten Managern bedroht, während die Regierung passiv zusieht.
Eine sehr ähnliche Stoßrichtung ist bedauerlicherweise auch immer wieder in Polemiken oder Äußerungen aus nicht-rechten gesellschaftspolitischen Gruppen, Parteien und Gewerkschaften zu finden. Als bekanntestes Beispiel sei hier die Debatte über sogenannte Heuschrecken oder andere Tiervergleiche mit Managern erwähnt. Thesen des Antisemiten Silvio Gesell, der seine Kritik nur auf die Zinsen innerhalb der Zirkulationssphäre beschränkt und sie als einziges Übel des Kapitalismus ausmacht, sind bei attac und ähnlichen Gruppierungen durchaus verbreitet.
Auch ausländer_innenfeindliche Parolen von Rechtsradikalen überschneiden sich teilweise mit Argumentationslinien von vermeintlich Linken. Die Antikapitalismus-Kampagne der Nazis wetterte zum Beispiel 2006 gegen „ausländische Lohndrücker, die den sozialen Schutzraum des deutschen Volkes bedrohen.“[2]Bekanntestes Beispiel für diese Überschneidung ist der ehemalige Parteivorsitzende der Linken: Oskar Lafontaine schlug mit seinen Sprüchen über sogenannte Fremdarbeiter im Jahr 2005 in dieselbe Kerbe. Er verlangte vom Staat, den Schutz eines vermeintlichen deutschen Volkskörpers vor herbei halluzinierten ausländischen Bedrohungen zu gewährleisten. Lafontaines Äußerungen sind deshalb nicht als unglückliche Fehltritte zu deuten, sondern sie sind logische Konsequenz einer Krisenanalyse, welche die Ursachen verkennt und nur einen starken Staat als Antwort parat hält. Eine fundierte Kapitalismuskritik darf jedoch keine symbolträchtigen und öffentlichkeitswirksamen Vereinfachungen vornehmen, sondern muss den Kapitalismus als Ganzes begreifen. Die Rolle des Staates als feste Instanz zur Sicherung und Aufrechterhaltung der kapitalistischen Verhältnisse darf nicht verkannt werden. Der Staatsapparat ist Teil des Problems und kann deswegen nicht seine Lösung sein.
Eine „Solidarische Gesellschaft“, wie sie regelmäßig gefordert wird, kann nur durch ein völlig anderes Gesellschaftssystem umgesetzt werden. Dieses muss sich jenseits von Nationalismus, Standortdebatte und Protektionismus etablieren und kann nur Kommunismus heißen!
Bezogen auf die heutige Situation auch der Linken muss die Konsequenz erst recht Revolution statt Reform lauten. Tiefgreifende Veränderungen statt Flicken der Oberfläche sind der einzige Ausweg aus der Krise, wobei jeglicher Lösungsansatz fern von Volksgemeinschaft und personifizierter eindimensionaler Kritik sein muss.
Es gibt kein „Wir“ und es gibt kein „eure“. Es gibt nur eine Krise und die heißt Kapitalismus!
Deutschland ist keine Antwort, Deutschland ist scheiße!
Der Inhalt des Textes entspricht einem Redebeitrag der antifaschistischen gruppe 5 auf der “Wir zahlen nicht für eure Krise”-Demonstration am 28.3.09 in Frankfurt. Näheres unter http://krise.blogsport.de/2803-nachbereitung/ und http://ag5.antifa.net.
[1] Bundes-NPD (12.03.2009): Presseerklärung.
[2] Antikap (2006): Zukunft statt Globalisierung, Aufruf der Antikap-Kampagne, S. 2.